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Auf der Suche nach dem Regenwald

Schottland. Vor einigen Tagen sind wir von Lochluichart aufgebrochen. Wir wandern über die sumpfige Hügellandschaft während unsere Gespräche leiser werden. Die wilde Natur in ihren Braun- und Grüntönen wirkt immer stärker und eindringlicher auf uns. Die abgerundeten Bergrücken und der flache Himmel lassen uns kleiner erscheinen. Wir sind auf der Suche nach dem Regenwald. Das soll, so haben wir zuhause erfahren, ein urwaldähnliches Waldareal um den Berg Mullach Coire Mhic Fhearchair sein. So ähnlich klingen alle Namen hier, wir können sie nicht aussprechen. Der Berg ist auf unseren Landkarten eingezeichnet mit einer Höhe von 1019 Metern. Die genaue Lage des Urwaldes kennen wir jedoch nicht. Wir sind auch nicht sicher, ob es ihn überhaupt gibt, denn es klingt zu unwahrscheinlich, dass es in Schottland einen tropischen Urwald geben soll. Es ist, so vermuten, wir wohl eher eine Legende, die für uns aber immer stärker zur Realität wird. Wir sind eingefangen von den steigenden Nebelschwaden, dem Nieselregen und den weißen Wollgrasbüscheln zwischen den offenen Tälern, Ebenen und Grasbergen. Unsere Stimmen sind uns fremd geworden.



Das Dorf

Gestern ist etwas Überraschendes passiert. Wir sind, nachdem wir eine Bergscheide überquert hatten, in ein kleines Dorf gelangt, das nicht auf unseren Karten eingezeichnet ist. Es sind gerade 11 Häuser. Es sind die typischen Häuser, grau, weiß, mit zwei Kaminen, aus Stein und Schiefer und mit kleinen Fenstern. Wir haben beschlossen im Dorf zu bleiben und von dort aus nach dem Regenwald zu suchen. Der Berg Mullach Coire Mhic Fhearchair kann nicht mehr weit sein. Wir können ihn jedoch nicht sehen, weil alles in Grau gehüllt ist und es stärker regnet. Von der einen Seite führt ein holpriger Weg in das Dorf. Er ist nur für Geländefahrzeuge befahrbar. Niemand im Dorf scheint jedoch ein Fahrzeug zu besitzen.



Die Eisenbahn

Der Fahrweg führt nach Kinlochewe. Dieser Ort liegt an der Straße, an der auch Lochluichart liegt. In Kinlochewe zweigt eine kleine Straße an den Upper Loch Torridon ab. Zwischen Lochluichart und Kinlochewe liegt Achnasheen. Dort zweigt auch eine Straße ab, die nach Kyle of Lochalsh führt. Parallel zu dieser Straße führen Eisenbahngeleise, aber es fährt kein Zug mehr. Vor acht Jahren, sagte man uns, ist die Bahn stillgelegt worden. In Lochluichart haben wir den verfallenen Bahnhof gesehen. Statt der Eisenbahn fährt jetzt dreimal am Tag ein Bus. Manchmal fährt er aber auch nicht, und zwar wenn es Nebel hat. Der Nebel kann so dicht werden, daß man nicht einmal über die Straße sehen kann. Es wäre viel zu gefährlich, dann zu fahren.



Der warme Nebel

Junge Leute oder Kinder gibt es nicht im Dorf. Es sind nur alte Leute, die wir wegen ihrer Aussprache nur sehr schwer verstehen können. Langsam verlieren wir das Gefühl der Fremdheit. Wir haben unsere Zelte mitten im Dorf aufgestellt. Überall ist Gras. Es gibt schmale Fußwege zwischen den Häusern. Jetzt sind wir seit zwei Tagen im Dorf und es regnet immer noch. Ab und zu wird es für kurze Zeit heller und wir können die Bergrücken erkennen, die das Dorf rings herum einschließen. Nebelschwaden steigen an ihnen empor. Der Regen ist sehr gleichmäßig, alles ist in Feuchtigkeit getränkt und dennoch ist es erstaunlich warm. Wir sind uns einig, dass es ein ideales Klima für einen Regenwald sein müßte, aber an eine Suche ist jetzt nicht zu denken, auch wüßten wir nicht, wo wir die Suche beginnen sollten.

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