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Konzeption



Der INFOMAN Entwurf enthält eine Auswahl von Ideen und Wünschen an die zukünftigen mobilen Kommunikationstechnologien.

Das mobile INFOMAN-System vereint Funktionen von PC und Mobile. Weitere Module wie Global Positioning System (GPS) oder Scannerstift sind anschliessbar. Durch geringe Größe, modulare Bauweise, intelligente Software und Offenheit durch viele Schnittstellen kann INFOMAN die reale, analoge 5-Sinne-Welt um die digitale Multimediawelt erweitern. Ich wollte einerseits eine enge Verbindung zwischen dem Menschen und der Technik herstellen, andererseits habe ich auch versucht, Grenzen von Technologie darzustellen.

Kurzgeschichten sollen Einsatzmöglichkeiten der neuen Kommunikationstechnologien in verschiedenen Situationen anschaulich machen. Rein technologisch orientierte Beschreibungen von Kommunikationsprozessen, losgelöst von der emotionalen Erlebniswelt der Nutzer, sind unzureichend, um den möglichen Nutzen in Gänze abschätzen zu können.

Die Kurzgeschichten sind im Zeitraum 1998 bis 2002 entstanden und heute zum Teil bereits Alltag geworden.





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Parlez vous français?

Ein Sprachkurs im Omnibus und ein
zum Kleid passender Videoclip sind alltäglich.


Auf dem Weg zur Arbeit liest sie immer im Bus. Sie stöpselt das Stromkabel von INFOMAN in eine Buchse an ihrem Sitz, um die Akkus aufzuladen. Mit dem Scannerstift von INFOMAN markiert sie die ihr unbekannten Worte des französischen Romans, worauf ein elektronisches Wörterbuch die deutsche Übersetzung anzeigt. Bevor sie aussteigt drückt sie das Bildschirm-Schmuck-Icon und das Text-Vorlesen-Icon, hängt den Monitor mit der Bildschirmseite sichtbar um ihren Hals und setzt die Kopfhörer auf. Dann läßt sie sich den weiteren Verlauf der Handlung vorlesen während sie zu ihrer Arbeit geht, oder sie drückt das Vokabeln-Wiederholen-Icon. Dann werden ihr alle französischen Worte, von denen sie eine Übersetzung angefordert hat, auf französisch mit deutscher Übersetzung vorgesprochen. Auf ihrem Monitor läuft währenddessen ihr selbstgestalteter Videoclip, der zu ihrem neuen Sommerkleid paßt. Weil der Himmel blau und die Luft leicht ist, ist sie gut drauf und spricht "Vokabeln sprechen" in das Mikrofon an der Bildschirmoberkante. Jetzt muß sie die französischen Worte solange nachsprechen, bis der Sprachenanalysator ihre Aussprache akzeptiert. Laut französisch parlierend geht sie durch die Straßen und keiner stört sich daran, denn es ist "... summer in the city ..." und sie mag keine Vokabeln mehr lernen, sondern hört Musik von INFOMAN.





 

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Fahrradtour

Der Audioführer unterbricht das gleichmäßige Surren
der Fahrradkette und erzählt eine wahre Geschichte
über den Marquis, dessen Schloß oberhalb der Weinberge liegt.


Vier Freunde beschließen, eine sportliche Radtour ins Burgund mit Weinprobe zu unternehmen. Das Burgund hat in einem von der Europäischen Gemeinschaft geförderten Großversuch eine elektronische Infrastruktur für Touristen geschaffen. Vielfältige multimediale Informationen zu Kultur, Landschaft, Gastronomie und vieles mehr werden in mehreren Sprachen den Reisenden zur Verfügung gestellt. Drahtlos über Kopfhörer erhalten die Radfahrer mit Hilfe des GPS von INFOMAN automatisch Informationen zu den Sehenswürdigkeiten entlang der gefahrenen Strecke. Jeder Radfahrer kann mit seiner Steuereinheit individuell weiterführende Informationen abrufen. Ein reibungsarmer Dynamo lädt die Akkus auf. Da zuviel Kultur auch keinen Spaß macht, nehmen sie ihre Kopfhörer ab und liefern sich ein Windschattenrennen bergab. Am Abend gehen sie in ein Restaurant. Das Gespräch mit dem Kellner kann nicht alle Fragen zur Speisekarte klären. Das Wörterbuch in INFOMAN kennt jedoch die gesamte Vielfalt der französischen Küche. Mit einer digitalen Kamera und dem Mikrofon halten die vier Freunde ihre Eindrücke fest. Die Fotos können am Bildschirm von INFOMAN angeschaut werden. Die geographischen Koordinaten des Aufnahmeortes werden automatisch durch das GPS zugeordnet. Ihre multimedialen Urlaubsgrüße versenden sie drahtlos über das Internet oder über die Infoboxen.







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Wattwanderung

Der Anstieg der Weltmeere führt zu einem
Anstieg der Kommunikation und verändert
die Einstellung zum Eigentum.


Ein kräftiger Wind bläst über das flache Land und verwirbelt ihre Haare. Bei Ebbe ist das Meer weit draußen, und das Watt ist ein grauer Schlickteppich. Sie würden Ihr neues Einfamilienhaus verlassen müssen, da die aktuellen Daten einen Anstieg der Weltmeere durch das Abschmelzen der Polkappen belegen. Mit der digitalen Kamera filmen sie die vom Wind getriebenen Wolken und nehmen das Geschrei der Möwen auf, die gegen den Wind fliegen.

Vor kurzem sind sie Mitglieder einer weltweiten Bürgerinitiative geworden, in der sich Menschen aus überflutungsbedrohten Regionen zusammengeschlossen haben. Über das Internet erfolgt die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Inselstaaten im Pazifik prüfen bereits, ob sie Schadensersatz von den Hauptproduzenten der Treibhausgase einklagen können. Die zuständigen internationalen Gerichte haben zu erkennen gegeben, daß derartige Klagen zulässig wären.

Ihr verfügbares Einkommen ist wie das der meisten Menschen gesunken, da immense Geldbeträge zurückgelegt werden, um sich auf den Anstieg der Weltmeere vorzubereiten. Ein Auto leisten sie sich seit letztem Jahr auch nicht mehr, da eine drastisch ansteigende CO2 Steuer das Autofahren sehr teuer macht. Der Verzicht auf das eigene Auto, der vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist Ihnen jetzt aber leicht gefallen. Wieder auf der Küstenstraße angelangt geben sie ihren Mobilitätswunsch über die Handyfunktion von INFOMAN an die elektronische Mitfahrbörse weiter. Das GPS meldet automatisch ihren Standort. Einige Minuten später teilt ihnen ein Autofahrer mit, daß er sie gerne mitnimmt, und in einigen Minuten an ihrem Standort ist. Bevor sie nach einem anregenden Gespräch aussteigen, wird der festgesetzte Fahrpreis von ihrer euro-mobil-paycard abgebucht.

Es gibt nur noch wenige Autofahrer, die keine Personen mitnehmen, da die CO2-Steuer mit der Zahl der Mitfahrer überproportional sinkt. Außerdem hat sich der Eigentumsbegriff verändert. Man möchte primär nicht mehr ein eigenes Auto kaufen und besitzen, sondern man möchte nur die Funktion - Mobilität rund um die Uhr - nutzen. Der absehbare Verlust von Eigentum von Millionen Menschen durch die Überflutung hat diese Neuorientierung vermutlich beschleunigt. Die Europäische Union hat in ausgewählten Regionen Versuche gestartet, maximale Mobilität mit minimalem Energieverbrauch durch elektronische Kommunikation zu erreichen. Private Fahrzeuge werden durch eine gemeindeeigene Fahrzeugflotte aus verschiedenen Autotypen ersetzt. Die Mobilitätswünsche werden über eine einfach zu bedienende Software an die elektronische Mobilitätsbörse weitergeleitet, die Fahrzeugbestand und Mobilitätswünsche in Einklang bringt. Ein Nebeneffekt dieser Versuche ist, daß soziale Kontakte gefördert werden. Unterschiedlichste Menschen treffen als Mitfahrer aufeinander, und aus den Gesprächen entstehen neue Ideen, neue Produkte, neue Freundschaften und neue Gefühle.








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Liebe

An einem Spätsommertag verflüchtigt sich
die Erinnerung an einen Duft,
während eine digitalisierte Stimme und
Gedichte unsterblich bleiben.


Weder ihren Duft noch ihre Liebe konnte er festhalten. Er legt sich in den Schatten eines Baumes, drückt die Start-Taste und schließt die Augen. Ihre multimedialen love-messages sind in seinem INFOMAN gespeichert: ihre Stimme, ihre Worte, Bilder von ihr. Mit dem Stimmenanalysator-Imitator läßt er sich Gedichte seines Lieblingsdichters mit ihrer Stimme vorlesen und in seinem Kopf träumt es, während ein Wind die Zweige und Blätter über ihm bewegt und der Duft eines Spätsommertages unwahrscheinlich intensiv wird. Noch heute würde er alle Dateien mit dem roten Herzen löschen - nein, er würde die digitale Erinnerung an sie auf einen "weit entfernten" Speicherplatz des unforgettable-love-servers verschieben, auf den er dann sehr sehr lange nicht mehr zugreifen würde.







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Grillfest

Jetzt fällt das Fußballendspiel doch auf den von langer Hand geplanten Grillabend im Schrebergarten. Kein Problem. Die Gäste bringen ihre Flat Panel Displays mit, die sie zu einer Monitorwand zusammenstecken. Alle 25 Minuten ziehen Sie von Hand den kleinen Stromerzeuger auf, um das Spiel sehen zu können.







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Supermarkt

ein Vater wird beim Einkauf von Informationen überflutet,
aber der Automat an der Kasse ist sehr freundlich -
programmiert.


Samstags muß ich immer einkaufen. Mit dem Scannerstift unseres INFOMAN fahre ich über den Produktinfo-barcode der Babynahrung, da ich meiner Frau gegenüber unter Beweis stellen möchte, daß ich zwar vielleicht seltener aber dafür um so gewissenhafter einkaufe.

Die Software auf INFOMAN verbindet mich zu der Produktinformation auf den Internetseiten des Produzenten. Eine Software der Stiftung Warentest leitet mich nach meiner Bestätigung zu dem entsprechenden Test. Nachdem sich auch noch makrobiotische Ernährungsratschläge in die Produktinfo-barcode-Abfrage einklinken und die Software von Greenpeace, die wir auch auf unserem INFOMAN haben, eine Ökobilanzanalyse diverser Babynahrung auf den Bildschirm holt, weiß ich nach einer halben Stunde nicht mehr, ob ich überhaupt etwas kaufen soll oder nicht. Nur soviel steht fest: Das Töchterchen hat Hunger und ich bin spät dran.

Da wir häufig mit dem Scannerstift einkaufen, lade ich unsere Einkaufsstatistik, der ich entnehmen kann, welches Babygläschen meine Frau bevorzugt einkauft. Damit kann ich schließlich nichts falsch machen, denke ich und greife zu. Aber dann säuselt der Automat an der Kasse: "Ich kann Ihre paycard nicht lesen, können Sie bar bezahlen?" "Nein!" sage ich und denke "verdammte Technik", da haucht der Automat so etwas wie "... schau mir in die Augen ...".

Verblüfft schaue ich ganz tief in die dunkle Casablanca-Linse des Automaten, worauf dieser noch freundlicher antwortet: "Guten Tag Herr Dambach! Ich kann bedauerlicherweise Ihre paycard nicht lesen. Suchen Sie bitte eine paycard-Servicestation auf. Selbstverständlich können Sie jedoch Ihre Waren mitnehmen. Wir buchen den Betrag bei Ihrem nächsten Einkauf ab. Ich bedanke mich für Ihren Einkauf und Ihr Vertrauen in uns und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende."

Auf dem Heimweg stelle ich mir vor, daß sich der Automat das nächste Mal über die Datenschutzrichtlinie für Supermärkte hinwegsetzt und in einem etwas mitleidigen Unterton säuselt: "Aber Herr Dambach, Sie werden doch nicht diese makrobiotische Ernährung anfangen wollen. Das ist meiner Meinung nach sehr unsinnig." Auf alle Fälle, denke ich, könnte dieser Automat so etwas nicht entscheiden. Für mich jedenfalls kommt Makrobiotik sowieso nicht in Frage. Auf der homepage des Gläschen-Produzenten hatte ich "Ich wünsche Informationen" angeklickt. Morgen würde es laut der Wettersimulation über Stuttgart regnen und dann hätte ich Zeit, die Produzenten von Babynahrung mit email-Anfragen an die Kunden-Kommunikations-Abteilungen auf Transparenz und Service zu testen.







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Der Weltraum, unendliche Weiten.

"Wir befinden uns in einer fernen Zukunft. Dies sind die Abenteuer..." So fängt die Serie Enterprise immer noch an. Er setzt seine Visor-Brille auf, die seine Augenbewegungen registriert und blickt in den tiefdunklen Nachthimmel einer warmen Neumondnacht. Ein feiner, kühler Luftzug streicht über die noch warmen Wiesen auf der Schwäbischen Alb.

Seit der Einführung intelligenter Beleuchtungssysteme war der Sternhimmel über Deutschland wunderschön geworden, denn Beleuchtungen werden nur noch bei Bedarf eingeschaltet, z. B. wenn sich ein Spaziergänger mit aktivem INFOMAN-Lichtmodul dem Schaufenster nähert, oder ein Auto in die dunkle Straße einbiegt.

Captain Picard persönlich erklärt ihm via Kopfhörer den Sternenhimmel. Auf der Heimfahrt, weit nach Mitternacht, gibt es fast nur grüne Ampeln. Sie schalten nämlich nur dann auf Rot, wenn sich ein anderes Fahrzeug zur gleichen Zeit der Kreuzung nähert. Die Ampeln werten die gesendeten GPS-Daten von INFOMAN aus.







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Prêt-à-porter

Photovoltaikmode verwandelt Sonnenlicht
in Videoclips auf Mini-Monitoren.


Photovoltaische Solarhüte schützen vor der gefährlichen UV-Strahlung und erzeugen Strom für INFOMAN.

Das Gesicht einer geheimnisvollen Solar-Frau bleibt hinter einem Schleier verborgen, der einen zusätzlichen Schutz vor der UV-Strahlung bietet.

Eine australische Firma hat ein weltweites Patent erhalten auf eine elastische, hauchdünne photovoltaische Beschichtung, die ausreichend Strom für INFOMAN produzieren kann. Unterschiedlichste Materialien wie z. B. auch Kleiderstoffe können mit dieser Schicht bedampft werden.

Auf den Pariser Prêt-à-porter-Shows präsentieren Modemacher aufsehenerregende Photovoltaikkollektionen. Mit in den Stoffen eingenähten, feinen Drähten wird der Strom von den stromproduzierenden Stoffflächen zu INFOMAN geleitet. Die Models tragen auch die neuen Mini-Farbmonitore, die in verschiedenen Formen als Gürtelschnallen, Ketten, Ohranhänger, Haarspangen, Ringe, Piercing, etc. getragen werden können. Auf den Mini-Monitoren werden Bilder, Muster, Farben, Zeichen, Buchstaben oder sogar Mini-Videos angezeigt, die Schmuck oder Botschaft sein können.

Die Jugend hat die Idee aufgenommen. Es entsteht eine gruppen- und regionenspezifische, zum Teil sehr komplexe Bildersprache.







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Spieglein Spieglein an der Wand

Es war einmal ein Mann, der fürchtete sich vor dem Älterwerden. Deshalb hatte er beschlossen, sich nach seinem Tod einfrieren zu lassen. Zellproben von ihm hatte er bereits tiefgefrieren lassen und seine komplette DNA- Sequenz war ermittelt worden und sicher gespeichert. Die Resultate der Kosmetik und der plastischen Chirurgie genügten ihm schon lange nicht mehr. Deshalb ersetzte er eines Tages alle Spiegel seines Hauses durch Monitore mit einer Kamera. Der zentrale Rechner übertrug ein perfektes digitales 3D-Modell seines jungen Gesichts an alle Monitore. Die Kamera zeichnete seine Bewegungen vor dem Monitorspiegel auf. Der Rechner übertrug sie spiegelgerecht auf das im Monitorspiegel abgebildete 3D-Modell. Alle Attribute die nicht zu seinem 3D-Modell-Gesicht gehörten, wie Hüte, Kleider, Zahnbürste usw. wurden richtig ergänzt zu einer perfekten Illusion seiner Jugend. Er wurde jedoch nicht glücklich, da er eine krankhafte Angst vor echten Spiegeln entwickelte.







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U n s i c h t b a r e W e l t

Mit sicherer Hand sprüht er sein Graffiti auf die nackte Wand der Unterführung. Gemeinsam flüstern Sie ihre message in das Mikrofon von INFOMAN. Jeder der nun mit aktiviertem Graffiti-Empfang, GPS-Modul und INFOMAN an diesem Graffiti vorbeiläuf, kann ihre message hören, die gewissermaßen unsichtbar an die GPS Koordinaten der Stadt gepostet ist.

Die Großstadt überzieht sich mit immer neuen, unsichtbaren, digitalen Multimediahäuten. Die Stadt beginnt an allen Ecken zu flüstern, immer lauter, digitaler Großstadtdschungel.







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Fahrt zur Arbeit

Auf dem Monitor des Frühstückstisches erscheint der prognostizierte Tageskurs seiner täglichen Wegstrecke von Zuhause zu seiner Arbeit, der bei 2,45 EURO pro km liegt.

Der A-M-Index (Autofahrer-Mitfahrer-Index) beträgt 2,23. (+ 0,3 zum Vortag). D.h. pro Fahrzeug sind 2,23 Mitfahrer zu erwarten. Die durchschnittliche Wartezeit der Mitfahrer beträgt zwischen 7 und 8 Uhr morgens ca. 11 Minuten. Mit dem Scanner-Stift drückt er das „Autofahrer-Icon", um dem Mobile-Network mitzuteilen, dass er heute mit dem Auto fahren würde. Seine Wegstrecke hatte er automatisch während einer seiner Fahrten zur Arbeit aufzeichnen lassen. Er dreht den Zündschlüssel im Schloss und startet den Wagen. Ab jetzt erscheint seine Fahrtstrecke auf den Displays der potentiellen Mitfahrer. Auf seinem in die Windschutzscheibe integrierten Navigations-Display erscheinen die Standorte der Mitfahrer als blinkende Punkte mit Namen entlang der Straßenkarte.

Mit dem Zeigefinger drückt er auf den blinkenden Namen seines Geschäftskollegen, um zu bestätigen, dass er ihn abholen würde. Mit seinem Bestätigungssignal wird sein Name und seine Fahrzeugbeschreibung mit Kennzeichen an die Multimedia-Frühstückstasse seines Geschäftskollegen gesendet, die nervös zu blinken anfängt und die Bestätigungsdaten anzeigt. Der in der Frühstücktasse eingebaute Biosensor ermittelt, ob die Tasse überhaupt in Gebrauch ist und mit dem Fingersensor, von wem. Je nach Ergebnis wählt der Biosensor auf der Tasse die stille Blinkvariante zur Mitfahr-Benachrichtigung oder leitet die Nachricht an die Haussprechanlage weiter.

Die börsenverrückten Amerikaner hatten vor einigen Monaten mit dem Handel von Optionsscheinen auf Autokilometerstrecken begonnen. Aus seiner Sicht als digitaler „Informationsliquidator" bedeutete das: „Die Produktion von Unmengen Information und deren fachgerechter Entsorgung." Informationsliquidatoren sind hochbezahlte und gesuchte Spezialisten, die überflüssige, redundante und nicht benötigte Informationen vernichten.

Bevor die Mitfahrer aussteigen, wird der Kilometertarif (KM-Tarif) zum aktuellen KM-Tageskurs von der elektronischen paycard abgebucht.







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Kochen mit Bocuse

Der Internetsupermarkt hat ein neues Angebot für Hobbyköchinnen und Köche herausgebracht. Das will Harald, der in der Tourismus-Softwarebranche tätig, und außerdem Weinliebhaber und Hobbykoch ist, am Wochenende ausprobieren. Per Internet sucht er sich ein Menu für 4 Personen aus. Der online Supermarkt liefert innerhalb von 3 Stunden. Harald holt jedoch die bestellten Lebensmittel an dem von ihm ausgewählten Drive-in-Terminal ab, da er dort sowieso vorbeifährt. Das Auslieferungsterminal nimmt automatisch Kontakt mit seinem Auto-Navigationssystem auf. So bekommt er seine Lebensmitteltüte sofort überreicht. Für das Bocuse-Menü zählt schließlich die Frische.

Während der Heimfahrt liest der elektronische Einkaufsbon die eingekauften Waren vor. Da er alle Hände mit Einkaufstüten voll hat, kann er seinen Daumen nicht gegen den Fingerabdrucksensor an der Haustüre drücken. Aber die Haustür reagiert auch auf seine Stimme und öffnet automatisch.

Im 4. Stock angekommen schaltet Harald das Küchendisplay neben dem Herd an. Da er das Bocuse-3Sterne-Entenbrust-Komplett-Menue gekauft hat erscheint auf dem Küchendisplay neben den üblichen Icons das „Kochen mit Bocuse" Logo, das mittlerweile allen Fernsehzuschauern des Koch-Kanals bekannt ist. Während Harald die Lebensmittel auspackt, fängt Bocuse an, im digitalen Video zu kochen und das 5-Gänge Menu zu erklären. Harald kocht mit Bocuse. Das Video kann er jederzeit anhalten. Bei Fragen kann er auf die online-Hilfe zurückgreifen oder, bevor etwas anbrennt, die hotline anrufen. Im Bocuse-Exquisit-Set ist der Meister persönlich an der hotline.... das kostet aber richtig Geld. Das Französisch ist kein Problem, der Sprachcomputer übersetzt, - fast perfekt.

20.00 Uhr, die Gäste sind da. Das Menu für 4 Personen ist nach 6 Stunden „Arbeit" - für Harald ist es aber Hobby - fertig und die passende Tischmusik, die im Set enthalten ist, klingt online aus den Lautsprechern.. „Guten Appetit und fröhlich sei das Abendessen."

Auf Wunsch erzählt Bocuse persönlich Wissenswertes zu den Weinen, auf französisch, oder in einer anderen Sprache.







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Das Essen ist fertig

Das Kühlschrank-Food-Modul erstellt aus dem Inhalt des Kühlschranks 3 Rezeptvorschläge. Später drückt Laura auf die Essen-ist-fertig-Taste ihres INFOMAN und schickt ein elektronisches Signal an alle Familienmitglieder. Das INFOMAN-Aromamodul der Tochter fängt an nach Basilikum zu duften, der INFOMAN von Papa piepst und der INFOMAN des Sohnes lässt den Display-Button an seiner Baseballmütze aufblinken. Laura muß leider enttäuscht feststellen, daß trotz aller High-Tech die Familie immer noch zu spät zum Essen kommt.







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Heliotropis

Lautlos gleiten die Schatten der solargetriebenen Versorgungs-Zeppeline über die begrünten Flachdächer von Heliotropis. Er sitzt auf dem Flachdach unter einem Sonnenschirm und liest einen Hybrid-Roman. Wenn er die Sensor-Flächen der Papierseiten berührt projiziert ein kleiner Outdoor-Beamer die Bilder an die weiße Wand des Nachbarhauses. Online bestellt er einen gekühlten Exotik-Drink. Eine halbe Stunde später setzt ein Kühl-Zeppelin eine Kühl-Box mit dem Drink neben ihm ab. Die Bezahlung erfolgt mit Hilfe des Iris-Erkennungssystems. Er klappt das Buch zu und auf dem Einband erscheint als Lesezeichen die letzte Seitenzahl.

Die Versorgungszeppeline, die es in allen möglichen Formen und Farben gibt, liefern die Produkte des täglichen Bedarfs aus, die zu einem Großteil online bestellt werden. Über Ihr GPS-Navigationssystem steuern sie die kaminartigen Versorgungsschächte der Solarhochhäuser an. Die Waren werden durch die Versorgungsschächte zu den Wohneinheiten gebracht. Vom Stadtzentrum weit entfernt liegende Bauernhöfe liefern mit den Solar-Zeppelinen frische Nahrungsmittel direkt vom Erzeuger zum Kunden.

Der Transport der Waren auf der Straße, und damit die Lärm und Abgasbelastung konnten stark reduziert werden. Viele Bewohner von Heliotropis arbeiten in der Softwareentwicklung und im Dienstleistungsbereich. Oft nur 3-4 Tage in der Woche.

Heliotropis ist ein Pilotversuch des beginnenden Zeitalters der solar-digitalen-Informationsgesellschaft. Mit den Solar-Zeppelinen wird auch die umfangreiche Warentauschwirtschaft innerhalb Heliotropis abgewickelt. Der Tausch von Waren und gemeinsamer Besitz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dies wird auch als Neo-Kommunismus bezeichnet.







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Armenspeisung

Obwohl durch einen Softwarefehler, schon zweimal irrtümlich sein Kühlschrank geleert wurde, aktiviert er die automatische Update-Funktion des Kühlschranks, welche nun das neueste Kühlschrank-Softwaremodul mit Ablaufwarnung von Lebensmittel und automatischer Verschenken-Funktion bei drohendem Überschreiten des Haltbarkeitsdatums installiert.

Sozialhilfeempfänger bekommen in einem Pilotversuch das handygroße Sozial-Modul, mit dem sie abgelaufene Lebensmittel oder zum Verschenken angebotene Waren abholen können. Die „Versteckte Armut" geht zurück, da die Gesellschaft durch mehr Information transparenter geworden ist und einen offensiven Dialog pflegt.







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Brötchenholen

Die Bäckerei Glück bäckt die köstlichsten Brötchen, Brezeln und Croissants in der Umgebung. Sie hat immer noch keinen Home-Lieferservice. Warum auch, bei dieser konkurrenzlosen Qualität. Also macht sich Harald, wie jeden Samstag auf den Weg für das gemeinsame Familienfrühstück am Samstag. Während er die 3 Treppenstufen in die Bäckerei hinabsteigt und den Kopf einzieht, um nicht an der Türe anzustoßen kramt er seinen INFOMAN aus der Jackentasche und drückt den „ID-Senden-Button". Auf dem Selbstabholer Regal, wo die abholbereiten Bäcker-Glück-Tüten stehen blinkt der Abholchip seiner Brötchentüte. Die online-Bestellung selbst macht Sohnemann, der allerdings am Samstag so früh nicht aus den Federn zu bekommen ist.

Vor einigen Jahren, erinnert sich Harald, stand er bis zu 15 Minuten an, bis er an der Reihe war. Bei einem anderen Bäcker wäre es schneller gegangen, Aber für diese Brezeln lohnt sich jeder Gang.







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Plaque-Scanner

Der Plaque Scanner am Badezimmerspiegel kontrolliert das Zähneputzen der Kids. Erst wenn die Zähne nach 3 Minuten sauber sind, kommt das Sandmännchen im „Monitorspiegel" des Badezimmers und sagt Gute Nacht.







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V e n u s

Eine Frau schminkt sich
und verschickt Ihr Bild
mit einer Nachricht.


Venus nimmt den kleinen Monitor von INFOMAN aus ihrer Handtasche und steckt das Kabel in die Buchse am Tisch des Eiscafes. Die Videokamera filmt ihr Gesicht und bildet es auf dem Monitor ab, wie ein Spiegel. Nun kann sie ihre leuchtend roten Lippen mit Lippenstift noch roter malen. Mit ihrem Kajalstift schreibt sie auf den sensitiven Monitor einen Namen und "Ich freue mich auf heute Abend" und drückt die Send-to-Taste. Die Botschaft kommt an. Sie haben einen wunderschönen gemeinsamen Abend ohne INFOMAN. Es gibt nur ihn und sie und viel Gefühl.







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Z u k ü n f te



Kaufkraft

Die sinkende Kaufkraft der Menschen hat dazu geführt, daß die Ausgaben anders verteilt werden. Nur noch jeder 12. Europäer gibt Geld aus für ein eigenes Auto, Fast jeder Europäer hat einen INFOMAN und gibt viel Geld für digitale Kommunikation und Information aus. Nur noch wohlhabende private Autofahrer können es sich leisten bei Benzinpreisen von 10 EURO pro Liter keine Mitfahrer mitzunehmen. Der Mobilitätsbedarf wird durch elektronische Kommunikation, Heim-Arbeitsplätze am PC und große Mobilitätsdienstleister gedeckt.



Besitz

Die Bedeutung von Begriffen wie Besitz oder Nutzung haben schneller verändert, als man noch vor einigen Jahren annehmen konnte. Man möchte nun nicht mehr ein Auto kaufen und besitzen, sondern man möchte vielmehr nur die Funktion, also Mobilität rund um die Uhr kaufen. Dieser Unterschied erscheint klein, ist aber von zentraler Bedeutung. Natürlich ist Autofahren weiterhin mehr als Mobilität. Es wird vermutet, daß der immer wahrscheinlicher werdende Anstieg des Meeresspiegels und damit verbunden der Verlust von Besitztümern von Millionen Menschen, diese Umorientierung beschleunigt hat.







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Utopien

Utopia for a too big planet
or solution for a small one?


06.09.1997: viele hundert Millionen Menschen sitzen vor Bildschirmen und sehen die Beerdigung von Prinzessin Diana, "the rose of England". Was für ein monumentales, emotionales Kommunikations-Ereignis !

19 Jahre später:

Jeder Erdenbürger, der es möchte, erhält einen INFOMAN mit Internetanschluß. Wer zu wenig Geld hat bekommt alles bezahlt. 1, 2, 3 oder 4 Milliarden glückliche und unglückliche Menschen kommunizieren miteinander im Digitalchaos mit Sprache, Bildern und Gestik. Auf dem Weltbürger-Server rotieren die Bilder der Lebenden. Auf dem Toten-Server ruhen die Bilder der Gestorbenen. Neue Bilder erscheinen auf dem Gestorbenen-Server während sie auf dem Lebens-Server erlöschen. Die Bilder der Lebenden werden älter, während sich die Bilder der Toten nicht verändern. Mit den Menschenporträts auf dem Lebens-Server rotieren ihre Wünsche: "Ich heiße ... bin 15 Jahre alt und ich wünsche mir ..." Der Computer erstellt eine Weltwunschliste: 100 Millionen Tonnen Essen, 100 Millionen Wünsche für Gesundheit, 100 Millionen Autos, 100 Millionen Wünsche nach Liebe ... Auf Bildwänden und Monitoren in den Plenarsälen der Regierungen, in den Vorstandsetagen und Fabrikhallen, auf den Plätzen der Metropolen, in den S-Bahnen werden die Menschenbilder mit ihren Wünschen 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr angezeigt. Die Wünsche nach Essen, Gesundheit und Kleidung werden im WEWIX (World-Essential-Wish-Index) erfaßt. Diese globale EDV-Installation wird zum Weltkulturerbe erklärt. Der DAX steigt, während der WEWIX fällt. Eine Aufbruchstimmung hat weite Bevölkerungskreise erfaßt und viele Menschen arbeiten für das unerreichbare Ziel, WEWIX = Null. Der fallende WEWIX führt zu einer dauerhaften positiven Entwicklung der Weltwirtschaft.