Wattwanderung
2007
p o l i t i s c h

  Der Anstieg der Weltmeere führt zu einem Anstieg der Kommunikation und verändert die Einstellung zum Eigentum  
  Ein kräftiger Wind bläst über das flache Land und verwirbelt ihre Haare. Bei Ebbe ist das Meer weit draußen, und das Watt ist ein grauer Schlickteppich. Sie würden Ihr neues Einfamilienhaus verlassen müssen, da die aktuellen Daten einen Anstieg der Weltmeere durch das Abschmelzen der Polkappen belegen. Mit der digitalen Kamera filmen sie die vom Wind getriebenen Wolken und nehmen das Geschrei der Möwen auf, die gegen den Wind fliegen.

Vor kurzem sind sie Mitglieder einer weltweiten Bürgerinitiative geworden, in der sich Menschen aus überflutungsbedrohten Regionen zusammengeschlossen haben. Über das Internet erfolgt die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Inselstaaten im Pazifik prüfen bereits, ob sie Schadensersatz von den Hauptproduzenten der Treibhausgase einklagen können. Die zuständigen internationalen Gerichte haben zu erkennen gegeben, daß derartige Klagen zulässig wären.

Ihr verfügbares Einkommen ist wie das der meisten Menschen gesunken, da immense Geldbeträge zurückgelegt werden, um sich auf den Anstieg der Weltmeere vorzubereiten. Ein Auto leisten sie sich seit letztem Jahr auch nicht mehr, da eine drastisch ansteigende CO2 Steuer das Autofahren sehr teuer macht. Der Verzicht auf das eigene Auto, der vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist Ihnen jetzt aber leicht gefallen. Wieder auf der Küstenstraße angelangt geben sie ihren Mobilitätswunsch über die Handyfunktion von INFOMAN an die elektronische Mitfahrbörse weiter. Das GPS meldet automatisch ihren Standort. Einige Minuten später teilt ihnen ein Autofahrer mit, daß er sie gerne mitnimmt, und in einigen Minuten an ihrem Standort ist. Bevor sie nach einem anregenden Gespräch aussteigen, wird der festgesetzte Fahrpreis von ihrer euro-mobil-paycard abgebucht.


Es gibt nur noch wenige Autofahrer, die keine Personen mitnehmen, da die CO2-Steuer mit der Zahl der Mitfahrer überproportional sinkt. Außerdem hat sich der Eigentumsbegriff verändert. Man möchte primär nicht mehr ein eigenes Auto kaufen und besitzen, sondern man möchte nur die Funktion - Mobilität rund um die Uhr - nutzen. Der absehbare Verlust von Eigentum von Millionen Menschen durch die Überflutung hat diese Neuorientierung vermutlich beschleunigt. Die Europäische Union hat in ausgewählten Regionen Versuche gestartet, maximale Mobilität mit minimalem Energieverbrauch durch elektronische Kommunikation zu erreichen. Private Fahrzeuge werden durch eine gemeindeeigene Fahrzeugflotte aus verschiedenen Autotypen ersetzt. Die Mobilitätswünsche werden über eine einfach zu bedienende Software an die elektronische Mobilitätsbörse weitergeleitet, die Fahrzeugbestand und Mobilitätswünsche in Einklang bringt. Ein Nebeneffekt dieser Versuche ist, daß soziale Kontakte gefördert werden. Unterschiedlichste Menschen treffen als Mitfahrer aufeinander, und aus den Gesprächen entstehen neue Ideen, neue Produkte, neue Freundschaften und neue Gefühle.